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2020 SUMMER

Bong Joon-hos Fragen und Anliegen

Snowpiercer (2013) und Parasite (2019) von Oscar-Preisträger Bong Joon-ho weisen Ähnlichkeiten auf: Beide Filme beleuchten die Konflikte zwischen der herrschenden und der beherrschten Klasse, zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Dafür wird ein Zug als horizontaler Raum bzw. eine Treppe als vertikaler Raum genutzt. Vor allem vermitteln beide Werke über die Grenzen des jeweiligen Raumkonzepts hinaus eine Botschaft, die auf tiefe Resonanz beim Publikum stößt.

Unter den kommerziellen koreanischen Filmproduktionen gibt es etliche originelle und kreative Werke, aber auch viele Streifen, die ein einziges offensichtliches Motiv ausschlachten. Die nenne ich „Konzeptfilme“. In den frühen 2000er Jahren wurden sie v.a. in Form von Gangsterkomödien zuhauf produziert. In den damals beliebten Plots muss ein Gangsterboss die Oberschulbank drücken oder eine Staatsanwältin heiratet in einen Clan der organisierten Kriminalität ein. Als dieses Strickmuster Kassenerfolge einbrachte, entstanden jahrelang zahlreiche darauf aufbauende Formelfilme.

In den 2010er Jahren kam man zwar von den Formelfilmen ab, doch die Versuche der Filmemacher, nur mit einem originären Konzept das Publikum anzulocken, gehen weiter. Die Absicht, die Neugier des Publikums zu erwecken, ist zwar allzu verständlich, aber es ist problematisch, wenn es, wie in vielen Filmen der Fall, nicht über bereits bekannte Handlungstränge und klischeehafte Ausgänge hinausgeht. Solche Streifen mögen zwar gut sein, um die Zeit totzuschlagen, tragen aber kaum zur Erweiterung des persönlichen Horizonts bei.

Regisseur Bong Joon-ho hat einen anderen Weg eingeschlagen. Er stachelt zwar auch durch die Anwendung eines interessanten Konzepts die Neugier der Zuschauer an, macht dann aber doch noch einen Schritt weiter und erschließt so neues Terrain für den Genrefilm – ein Ansatz, der ihm die höchste Anerkennung in der koreanischen Filmbranche einbrachte.

Regisseur Bong Joon-ho mit der Oscar-Trophäe in der Hand bei der 92. Oscar-Verleihung am 9. Februar 2020. Für seine schwarze Komödie Parasite heimste Bong an dem Tag gleich vier Auszeichnungen ein, und zwar für Bester Film (die erste Auszeichnung für einen nicht-englischsprachigen Film überhaupt), Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch und Bester internationaler Film, womit Bong sowohl die Geschichte der Oscar-Verleihung als auch die des koreanischen Films neu schrieb. Vorausgegangen war die Ehrung mit der Goldenen Palme bei den 72. Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Jahr 2019. © gettyimages

Motive auf den Kopf stellen

Als Bongs Parasite (2019) im Anschluss an seine Auszeichnung mit der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen in Cannes im vergangenen Jahr bei den Academy Awards 2020 den Preis für den besten Film gewann, wuchs das Interesse an der Anwendung des vertikalen Raums im Film. Dieses Interesse dehnte sich dann auf den horizontalen Raum aus, in dem die Handlung einer seiner früheren Arbeiten spielt: Snowpiercer (2013), ein futuristischer Science-Fiction-Thriller und Bongs erste englischsprachige Produktion.

In Snowpiercer rücken die sozial Unterdrückten in den hinteren Waggons „horizontal“ in den vorderen Zugteil vor, in dem sich die Privilegierten befinden. In Parasite steigt eine arme, in einer Kellerwohnung hausende Familie von Trickbetrügern über Treppen „vertikal“ nach oben, indem sie sich in den Haushalt der reichen Familie von Park Dong-ik, die in einem am Berghang gelegenen Nobelviertel residiert, einschleicht. Die Konzepte dieser beiden Filme laden quasi dazu ein, die räumlichen Kontexte oberflächlich, sprich schwarz-weiß, zu interpretieren: Die hinteren Zugteile in Snowpiercer stehen für die beherrschte Klasse und die vorderen Waggons für die herrschende Klasse; in analoger Weise symbolisiert in Parasite das unterirdische Geschoss Armut, während die überirdischen Etagen für Reichtum stehen. Eine solche Interpretation wäre auch nicht ganz falsch, würde aber die Breite der möglichen Vorstellungen beschneiden, die aufblühen können, wenn die Bilder im Film auf die unterschiedlichsten persönlichen Erinnerungen der Zuschauer treffen. Anstatt nur eine einzige, eindeutige Antwort zu geben, sind Bong Joon-hos Filme voller Fragen und Vorschläge. Wer seine Werke in vollen Zügen genießen möchte, sollte daher darauf achten, sich nicht von dem an der Oberfläche Wahrnehmbaren vereinnahmen zu lassen.

Die Kulisse von Snowpiercer ist der Planet Erde in einer zweiten Eiszeit. Die Überlebenden der Klimakatastrophe leben nach sozialem Status getrennt in einem Zug, der endlos um den vereisten Planeten kreist. Während die Handlung fortschreitet, revoltieren die Bewohner in den hinteren Waggons gegen die unmenschliche Behandlung, der sie ständig ausgesetzt sind, und erkämpfen sich Waggon für Waggon ihren Weg in den „vorderen“ Bereich der Ersten Klasse. Hätte der Film nur das zu bieten, würde er sich nicht von anderen Konzeptfilmen unterscheiden. Doch Regisseur Bong stellt das Motiv unerwarteterweise auf den Kopf und „weicht seitlich aus“ – im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinne. Während die Aufständischen um Curtis (dargestellt von Chris Evans) durch die Verbindungstüren nach vorne drängen, richtet der Sicherheitsspezialist Namgoong Min-soo (Song Kang-ho, der auch in Parasite mitspielt) seinen Blick auf eine Seitentür. Um die Bedeutung dieses Blicks zu entschlüsseln, müssen wir Bongs „Konzept innerhalb eines Konzepts“ untersuchen.

Zu Beginn von Parasite blickt Kim Ki-taek aus dem Fenster der Kellergeschoss-Wohnung, in der seine Familie lebt. In den 1980er Jahren mussten freistehende Häuser mit Blick auf den Kriegsfall mit Souterrain-Räumen ausgestattet sein. Die Regierung erlaubte schließlich das Mieten dieser Räume – eine erschwingliche Option für Haushalte mit niedrigem Einkommen. © CJ ENM

Das Haus der Familie Park in Parasite unterstreicht die enorme Einkommenskluft in Korea. Einer Untersuchung aus dem Jahr 2019 zufolge liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen pro Monat bei 1,3 Mio KW (rd. 960 €) im unteren Quintil und 9,5 Mio KW (rd. 7.000 €) im oberen Quintil. © CJ ENM

Die veränderte Außenwelt

Kim Ki-woo und seine Schwester Ki-jung versuchen im Badezimmer ihrer Kellergeschosswohnung einen kostenlosen WiFi-Hotspot zu finden. Die Toilette einer Wohnung im Kellergeschoss liegt gewöhnlich auf einer höheren Ebene. Liegt sie tiefer als die unterirdische Klärgrube, kann das Schmutzwasser zurück nach oben fließen. © CJ ENM

Die Dampflokomotive ist ein Symbol der Neuzeit. Die Erfindung der Dampfmaschine führte zu industrieller Massenproduktion und Explosion der städtischen Bevölkerung. Es folgte die Weiterentwicklung des Zeitmanagements zur Kontrolle der Fabrikarbeiter, die zuvor daran gewöhnt gewesen waren, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu arbeiten. Die Fabriken mussten Pendel- und Schichtzeiten einplanen und die Züge hatten fahrplanmäßig einzutreffen. Da eine einzige Maschine die Arbeit von hundert Menschen erledigen konnte, stieg die Maschine in der Wertschätzung, während der Mensch zu Wartungsarbeiten wie Reinigen und Schmieren abkommandiert wurde. Im 20. Jh. verehrte die Menschheit die Maschine, und die elitäre Minderheit, die sie besaß, beherrschte die Welt – ähnlich wie die herrschende Klasse im „Snowpiercer“ und dessen Motor, die beide nur dann Bestand haben können, wenn jede Komponente ihre Rolle spielt und erfüllt.

Wie in Charlie Chaplins Stummfilm Moderne Zeiten (1936) dargestellt, wurden Arbeiter in der mechanisierten Welt zu austauschbaren Komponenten einer riesigen Maschine. Snowpiercer thematisiert die Trennung der Klassen in der grauenvollen Szene, in der kleine Kinder im Zugmotor entdeckt werden, wo sie die Funktionen der defekten Teile übernehmen. Ministerin Mason (Tilda Swinton) befiehlt den Rebellen: „Bleibt an eurem Platz!“ Außerdem erklärt der Zugbesitzer und Oberherr Wilford (Ed Harris) dem Rebellenführer: „Curtis, jeder hat seinen ihm vorbestimmten Platz!“

Die herrschende Elite setzt verschiedene Maßnahmen ein, um nicht nur die Maschinerie des Zuges, sondern auch die Zahl der Menschen und Tiere an Bord langfristig unter Kontrolle zu halten. Das entspricht der unmenschlichen Logik der von Maschinen und Produktionskapital dominierten industrialisierten Neuzeit. Im späten 20. Jh. begann sich die Welt jedoch zu verändern. Das System des Kalten Kriegs brach zusammen und das Zeitalter der Ideologien verschwand in der Geschichte. Die IKT-Revolution sorgte dafür, dass immaterielle digitale Daten, die sich ohne physische Einschränkungen frei bewegen können, Geld und Macht anziehen. Finanzkapital und digitale Macht sind zu den herrschenden Kräften geworden, und das Maschinenzeitalter hat dem durch das Internet repräsentierten Informationszeitalter nachgegeben. In dieser neuen Ära scheint die beherrschte Klasse gegen einen unsichtbaren Feind aus der virtuellen Welt zu kämpfen. In ähnlicher Weise erfährt die Welt außerhalb des Zuges immense Veränderungen, während die geknechtete Unterschicht in Snowpiercer ihren Kampf im Stil des 20. Jh. fortsetzt.

Das wird in einer symbolhaltigen Szene eindrucksvoll dargestellt: Im Gegensatz zum Rebellenführer Curtis Everett (Chris Evans), dessen Blick nur auf die Verbindungstüren vor ihm gerichtet ist, schaut Namgoong Min-soo häufig zur Seite aus dem Zugfenster. Dabei entdeckt er eine dahinsegelnde Schneeflocke. Sie schwebt hierhin und dahin, in ihrer Richtung bestimmt von den komplexen Bedingungen der Umgebung, angefangen bei Temperatur und Feuchtigkeit der Atmosphäre über Luftströmungen bis hin zum Atem lebender Organismen. Es ist eine andere Art Bewegung, die sich vom hartnäckigen Vormarsch der Rebellen zu Beginn des Films unterscheidet. Diese Bewegung ist vergleichbar mit einem digitalen Signal, das aus dem modernen Zeitalter, in dem „jeder seinen ihm vorbestimmten Platz hat“, entwichen ist. Auf diese Weise stellt Bong Joon-ho das vermeintliche Konzept des Films – die geradlinige Bewegung vorwärts – in Frage und regt dazu an, nicht nur nach vorne zu starren, sondern die Veränderungen in der Welt um uns herum wahrzunehmen.

Bong Joon-hos Snowpiercer aus dem Jahr 2013 basiert auf der gleichnamigen Comicroman von Jacques Lob und Jean-Marc Rochette. In dem post-apoklayptischen Sci-Fi-Thriller befinden sich die einzigen Überlebenden einer globalen Eiszeit in einem Zug, der um die zur Eiswüste gewordene Erde kreist. © CJ ENM

Unsichtbare Kraft

Der vertikale Raum in Parasite ist ebenfalls nichts weiter als ein Konzept. Die Metapher der „Treppe“ dient Bong dabei als Köder. Der täuschend simple Werbeslogan des Films „Was passiert, wenn eine arme Familie im Haus reicher Leute arbeitet?“ lässt den Kinogänger erwarten, dass der Klassenkampf zwischen Arm und Reich thematisiert wird. Doch in der zweiten Filmhälfte stehen die Scharmützel zwischen der armen und der noch ärmeren Familie im Mittelpunkt. Die wohlhabende Familie Park ist sich dieses Konflikts überhaupt nicht bewusst und weder die Medien noch die Polizei begreifen, was wirklich vor sich geht. Kehrte die Welt etwa in die Vormoderne zurück, als es – um es mit Thomas Hobbes auszudrücken – einen „Krieg aller gegen alle“ gab, während die Oberschicht fleißig damit beschäftigt war, ihre Rolle „treu, aber ohne Selbstreflexion“ zu spielen? Das im Film ständig thematisierte Problem der Beschäftigung erinnert das Publikum an die unerwünschten Konflikte zwischen regulär und irregulär Beschäftigten, zwischen Entlassenen und von der Entlassung Verschonten sowie zwischen kleinen selbständigen Unternehmern und den bei diesen Jobbenden.

Die Unterschichtler in Snowpiercer sind unablässig bemüht, sich einen Weg nach vorne zu bahnen, richten gegen Ende des Films ihren Blick jedoch in eine andere Richtung. Die arme Familie in Parasite versucht entsprechend, sich nach oben zu arbeiten, stürzt aber letztendlich in den Keller, wobei sie feststellt, dass etwas nicht stimmt. Nach der blutigen Auseinandersetzung zwischen der Familie Kim und einem noch verzweifelteren Ehepaar, der Haushälterin der Familie Park und ihrem Mann, die sich auf der Flucht vor Kredithaien im Bunker der reichen Familie versteckt haben, flieht Ki-Woo, der Sohn der Familie Kim, aus dem Haus. Als er im strömenden Regen die Treppen hinunterrast, hält er plötzlich inne und überlegt: „Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ich mich nur mit Leuten, denen es noch schlechter als mir geht, einen Schlagabtausch liefere?“

In diesem Sinne stellen die Treppen im Film gewissermaßen die Frage, ob es in unserer Gesellschaft eine unsichtbare Kraft gibt, die letztendlich die sozial Benachteiligten gegeneinander ausspielt. Diese Kraft könnte etwas sein, das im Cyberspace allgegenwärtig, aber mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, etwas, das der Welt in den Virtual-Reality-Geräten ähnelt, die Park Dong-ik, der reiche Familienpatriarch, in seinem globalen IT-Unternehmen entwickelt. Aus diesem Grund scheint Parasite und seine Sicht der Gesellschaft des 21. Jh. eine Note pessimistischer zu sein als Snowpiercer und seine philosophischen Reflexionen über das 20. Jh.

Die Krise des globalen Kapitalismus, rasche tektonische Verschiebungen in der Arbeitswelt, anti-ökologische Entwicklung der Natur und das daraus resultierende Auftauchen eines Monsters – das sind Anliegen, denen sich Bong Joon-ho immer wieder widmet. Selbst in der heutigen, stark vernetzten Welt werden Entscheidungen noch auf nationaler Ebene getroffen, was nicht dazu beiträgt, die gemeinsamen globalen Herausforderungen der Menschheit wirksam anzugehen. Das ist wohl der Grund, warum Bongs Filme weiterhin pointiert Fragen zur Realität aufwerfen und gleichzeitig seine tiefe Sorge um die Menschheit vermitteln. 

Die Armen an Bord des Snowpiercer scharen sich um den spirituellen Führer Gilliam (John Hurt), der möchte, dass der Rebellenführer Curtis (Chris Evans) seinen Platz übernimmt. © CJ ENM

Der verschwenderische Lebensstil der Elite im vorderen Teil des Zugs ist nur dank der Opfer der im hinteren Zugteil zusammengepferchten armen Passagiere möglich. © CJ ENM

Song Hyeong-gukFilmkritiker

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