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2017 WINTER

SPEZIAL

Die Provinz Gangwon-do:
Land der Berge, Mythen und Erinnerungen
SPEZIAL 1Seht die Sonne am Ostmeer aufgehen!

Der Ort, an dem sich eine Kette hoher und steiler Berge erstreckt, um schließlich ins blaue Ostmeer zu stürzen; der Ort, an dem sich malerische Landschaften im herzzerreißenden Kontrast um das raue Leben der Menschen schließen: Das ist wohl das Bild, das viele Koreaner von der Provinz Gangwon-do haben. Der stechende Duft der Blüten des Stumpflappigen Fieberstrauchs, die Pracht weißer Buchweizenblüten im Mondschein und der überwältigende Sonnenaufgang am Ostmeer sind selbst für diejenigen, die noch nie dort waren, vertraute Assoziationen mit Gangwon-do. Denn durch Romane und Lieder hat man das alles schon „erlebt“.

Auf einer schwach beleuchteten, einfachen Bühne zupft ein Sänger die Gitarrensaiten und beginnt zu singen: 500 Miles der amerikanischen Folk-Gruppe Peter, Paul and Mary. Der Geräuschpegel im Raum sinkt merklich, der Gesang zieht das Publikum in seinen Bann. Im stillen Dunkel versuchen einige, ihreEmotionen zu zügeln, andere wischen sich bereits die Tränen ab. Diese Szene aus einem amerikanischen Kleinstadt-Café war auf YouTube zu sehen.
Ein Lied ist Komprimierung und gleichzeitig Erweiterung einer Geschichte. In 500 Miles wurden Freud und Leid der modernen amerikanischen Geschichte – Eisenbahnbau, Bürgerkrieg, Große Depression und Massenentlassungen – abstrahiert in Form der Geschichte eines Vagabunden, der sich zurück nach Familie und Heimatort sehnt, was dann wiederum verallgemeinernd auf dieGefühlslage des amerikanischen Volkes übertragen wurde.
Dass während der kurzen Dauer eines Liedes Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen einander verstehen und Empathie füreinander empfinden, ist nicht weiter überraschend oder schwierig. Vorausgesetzt, dass wir unsere Voreingenommenheit ablegen. Das diesmalige Thema von SPEZIAL ist die Provinz Gangwon-do. Daher möchte ich zunächst das Lied Hangyeryeong empfehlen, geschrieben von Ha Deok-gyu und gesungen von Yang Hee-eun.

Der Weg nach Geumgang-san
In topografischer Hinsicht könnte man die Provinz Gangwon-do mit der Schweiz vergleichen. So wie sich ein Großteil der Schweiz über die Alpen erstreckt, so umschließt Gangwon-do das Gebietvom Gebirge Geumgang-san bis zum Gebirge Taebaek-san, also den Teil des Bergmassivs Baekdu Daegan, der das Rückgrat der koreanischen Halbinsel bildet. Zu den Zeiten, als die Landwirtschaft die Hauptlebensgrundlage bildete, war die von Bergen eingeschlossene Provinz Gangwon-do kein gastfreundliches Fleckchen Erde. Im Geographiebuch Taengniji (Führer durch Korea, 1751) heißt es zu Gangwon-do: „Die Erde ist so trocken und kieshaltig, dass ein Scheffel Samen kaum mehr als zehn Scheffel Frucht ergibt.“ Das ist auch heute noch nicht viel anders. Aufgrund dieser Gegebenheiten waren die Bergdörfer in Gangwon-do für politisch und gesellschaftlich Unterdrückte und Verfolgte ideale Orte der Zuflucht.
Denkt man an die Zeiten zurück, in denen Steuern in Form von Naturalien erhoben wurden, lässt sich die ungünstige Lage der Provinz einfacher erfassen. In Gangwon-do gab es nur zwei Lagerhäuser für Naturalabgaben, die im Vergleich zu anderen Provinzen jedoch viel zu klein waren. Auch in puncto Zahl und Größe der Schiffe, die für den Transport der Abgaben in die Hauptstadt gebraucht wurden, stand Gangwon-do den anderen Provinzen nach. Für die Region östlich der Taebaek-Gebirgskette galt zudem schon von vornherein die Ausnahmeregelung, dass die Abgaben innerhalb der Provinz verbraucht werden sollten. Diese Regelung wurde im 17. Jh. mit der Einführung des Daedongbeop-Gesetzes, nach dem Steuern einheitlich in Form von Reis statt anderer lokaler Spezialerzeugnisse zu erheben waren und die Höhe der Steuer statt pro Haushalt nach der Größe des Landbesitzes berechnet wurde, weitgehend bedeutungslos. Bauern, die keine eigenen Anbauflächen besaßen oder arm waren, wurden entsprechend entlastet.

In Bongpyeong, dem Geburtsort des Schrift- stellers Yi Hyo-seok (1907–1942), erstrecken sich genau wie in Yis Werken weitläufige Buchweizenfelder. JedenSeptember, wenn die weißen Blüten ihre volle Pracht entfalten, veranstaltet die Stadt ein Festival zu Ehren des Schriftstellers.

In den Zeiten, als die herrschende Klasse aus konfuzianischen Gelehrten bestand, für die ein Aufenthalt im Gebirge dazu diente, den Geist zu läutern und zu verfeinern, war Gangwon-do nichts weiter als Durchgangsstation auf dem Weg zum Gebirge Geumgan-san (Diamantgebirge), das heute zu Nordkorea gehört. Das Diamantgebirge war für seine Schönheit dermaßen berühmt, dass sogar der chinesische Dichter Su Dongpo (1037-1101) sich „wünschte, in Goryeo wiedergeboren zu werden, um das Diamantgebirge zu sehen“. Doch selbst für die Menschen des Goryeo-Reichs (918-1392) war es nicht leicht zugänglich. Für eine Besichtigungstour per Esel oder Sänfte – die damals übliche Art des Reisens der Oberschicht – brauchte man mindestens vier Diener. Von Seoul aus dauerte es etwa einen Monat bis zum Fuß des Gebirges, eine Reise, die sich niemand mit nurmittelmäßigem Vermögen leisten konnte.

Nichtsdestoweniger blieb das Diamantgebirge das Traumziel vieler Literati, Poeten und Künstler, die es aus den unterschiedlichsten Gründen dorthin zog, um ihren Geist zu klären. Daher wurde das Gebirge zum häufigsten Sujet in der koreanischen Reiseliteratur der Vormoderne, wobei der Inhalt sich oft auf banale Beschreibungen der topografischen Besonderheiten und landschaftlichen Reize sowie persönliche Empfindungen beschränkte. Wohl deshalb bemerkte der bekannte Literati-Maler Gang Se-hwang (1713-1791): „Bergwandern ist für einen Menschen die verfeinerteste Beschäftigung, aber eine Besichtigungstour durchs Geumgang-Gebirge die vulgärste.“
Aber es gab natürlich auch Reisebeschreibungen anderer Art. So porträtiert z.B. das Lied Dongyuga (Lied über die Reise im Osten) eines unbekannten Verfassers aus der späten Joseon-Zeit sehr genau das harte Leben der armen Unterschicht:
„Auf meinem Weg von Cheorwon hierher / sah ich die einanderüberlen Berge, nur hier und da gesprenkelt mit Katen, / mit Menschen, die Doppelspaten durch die harte Kieserde der Felder ziehen. / In den Wirtshäusern, denen es an Öl für die Lampen fehlt, / spenden Kienspäne schwaches Licht / Herdstelle und Kamin, aus Lehm in einer Ecke des Raumes errichtet, sind nur kümmerliche Wärmequellen.“
Da auch im napoleonischen Frankreich des 19. Jhs fast 85% der Bevölkerung in bitterer Armut lebte, waren die Lebensverhältnisse in Gangwon-do nichts Ungewöhnliches für die Zeit. Aber in den Augen eines Anfang des 20. Jhs aktiven koreanischen Schriftstellers war die Armut der Menschen von Gangwon-do nicht so gewöhnlich.

Wasserfälle Sambuyeon (Wasserfälle mit drei Teichen) aus dem Album Den Geist des Meeres und der Berge übermitteln ( Haeak jeonsin cheop ) von Jeong Seon, 1747. Tusche und Farbe auf Seide, 31,4 × 24,2 cm.
Obwohl die großen konfuzianischen Gelehrten die Provinz Gangwon-do oft nur als Durchgangspassage auf dem Weg ins Geumgang-Gebirge betrachteten, machten sie doch manchmal an landschaftlich besonders reizvollen Stellen Halt. Angezogen von den Sambuyeon-Wasserfällen in Cheorwon unterbrach der Maler Jeong Seon (1676–1759) seine Reise, um den spektakulären Anblick festzuhalten.

Fieberstrauchblüten und Buchweizenfelder
Der Schriftsteller Kim You-jeong (1908-1937) war der jüngste Sohn einer wohlhabenden Familie, die seit mehreren Generationen im Sille-Dorf in Chuncheon, Provinz Gangwon-do, gelebt hatte. Kindheit und Jugendjahre verbrachte er zwischen Chuncheon und Seoul pendelnd, wo er eine Elite-Bildung erhielt. Mit 23 Jahren verließ er die Hauptstadt und kehrte in seinen lediglich aus rund 50 Haushalten bestehenden Heimatort Sille zurück. Seine Lebensumstände hatten sich radikal verändert, denn seine Eltern waren früh verstorben und sein älterer Bruder hatte das ganze Familienerbe durch seinen aufwändigen Lebensstil verschleudert. Kim, der plötzlich ohne Mittel für Lebensunterhalt und Studium und dessen leidenschaftliche Liebe zu einer Dame unerwidert blieb, erkrankte, sodass er notgedrungen in sein Heimatdorf zurückkehrte. Dabei spielte wohl auchder Gedanke mit, seinen Anteil am Erbe einfordern zu wollen, im schlimmsten Falle durch eine Klage vor Gericht.
Was ihm jedoch in seinem körperlich und seelisch geschwächten Zustand Trost spendete, war nicht das kleine Erbe, sondern die Blüten des Stumpflappigen Fieberstrauchs (Lindera obtusiloba; in der deutschen Übersetzung seiner Erzählungen (Kim Yujong: Kamelien, übers. V. Baek Yunhui, Stuttgart, 2013) als „Kamelien“ übersetzt), die bei Frühlingsanfang den Berg Geumbyeong-san gelb färben, und die einfachen Menschen seiner Heimat, darunter v.a. die Landfrauen, die „raubeinig und zäh, wie die Natur sie geschaffen hat“ ihr Leben „ohne Gepränge oder Affektiertheit“ leben.
Als Kim sich allmählich in der Natur und unter den Menschen seines Heimatortes erholt hatte, baute er auf einem Hügel hinter seinem Haus eine Hütte und eröffnete eine Abendschule für die Jugend des Dorfes. Eines Tages erzählte ihm eine Nachbarin von einer Deulbyeongi (von Ort zu Ort ziehende Hausiererin, die Alkohol und Liebesdienste feilbietet), die einige Tage in ihrem Haus verbracht hatte, bevor sie plötzlich verschwand. Auf Basis dieser Geschichte schrieb Kim Yu-jeong sein erstes Werk Die Vagabundin (1933). Damit wurde er zum Schriftsteller, der es sich zur Aufgabe machte, Leid und Not des Zeitalters darzustellen.
In seinen Werken porträtiert er ungefiltert und humorvoll jämmerliche Männergestalten von der Art, wie er sie im Dorf Sille kennenlernte: einen von der harten Landarbeit frustrierten Mann, der von einem bequemen Leben träumt und dafür seine Frau als Deulbyeongi durchs Land ziehen lassen will (Meine Frau, 1935); einen Mann, für den es „ein weiserer Entschluss [ist], Gold abzubauen, als ein ganzes Jahr lang zu schuften und letztlich nur ein paar Scheffel Bohnen abzubekommen“ (Das Bohnenfeld, 1935) (Übersetzung: Kim 2013 entnommen); einen Mann, der nach einer Missernte verschuldet und mittellos flüchtet und „diesen und jenen Berg, das Handgelenk seiner blutjungen Ehefrau haltend, mit der Ausrede [ansteuert], er wolle einen Ort aussuchen, wo man leben könne“ (Regenschauer, 1935) (Übersetzung: Kim 2013 entnommen). Mit solchen Porträts trug Kim dazu bei, die moderne koreanische Literatur auf eine höhere Stufe zu heben.
Während Kim You-jeongs Werke auf der Erkenntnis fußen, dass die von Tag zu Tag zunehmende Verelendung der Landgemeinden auf die systematische Aneignung und Verpachtung von Agrarland durch die japanischen Kolonialherren zurückzuführen ist, entzog sich der Schriftsteller Lee Hyo-seok (1907-1942) der immer herzloser und unsicherer werdenden Realität, indem er sich ein eigenes ästhetisches Sanktuarium schuf. Es war im zweiten Jahr des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges (1937-1945), auf dem Höhepunkt der Ausbeutung durch die japanischen Kolonialherren, als Lee Hyo-seok sein Essay Beim Verbrennen des Laubs (1938) verfasste. Darin schreibt der in der Ortschaft Bongpyeong in Pyeonchang-gun geborene Lee, dass er beim Geruch der brennenden Blätter den Duft von frisch geröstetem Kaffee wahrnehme und sich überlege, im bevorstehenden Winter einen Weihnachtsbaum aufzustellen und Skifahren zu lernen.
Auffällig ist, dass Lees These, dass die „Literatur die magische Kraft besitzt, die Schönheit des Menschen, wie niederträchtig und widerwärtig er auch sein mag, aufzudecken“, nur marginal unter den immensen Druck der von den Japanern forcierten Assimilationspolitik geriet. In diesem Kontext besteht nach wie vor die Notwendigkeit zu fragen, auf welchem Punkt die Erzählung Wenn der Buchweizen blüht (1936), die von vielen als Meisterwerk der koreanischen Literatur gepriesen wird, auf Lees Schaffensweg, der vom halbherzigen Realismus seiner frühen Tage bis hin zur L'art pour L'art in seinen späten Jahren reicht, anzusiedeln ist:
„Der Weg, den sie jetzt gingen, lag auf dem Bergrücken. Es war wohl kurz nach Mitternacht. In der Totenstille klang das Atmen des Mondes greifbar nah wie das eines Tieres und die ins Mondlicht getauchten Sojapflanzen und Maisblätter schienen einen Ton grüner als sonst. Die Buchweizenfelder, die mit ihren gerade aufgehenden Blüten den ganzen Bergrücken bedeckten, schienen wie mit Salz bestreut und boten im heiteren Schein des Mondes einen Anblick, der einem den Atem stocken machte. Die roten Stiele machten wehmütig wie schwerer Blütenduft und die Schritte der Esel klangen lebhafter.“ (Auszug aus Wenn der Buchweizen blüht; Koreana, Herbstausgabe 2015)
Im Gedenken an Leben und Literatur dieser beiden Schriftsteller richtete die Provinz Gangwon-do im Dorf Sille das „Literaturdorf von Kim You Jeong“ ein und in Bongpyeong, wo das Geburtshaus von Lee Hyo-seok steht, die „Lee Hyo-Seok Gedenkhalle“.

Wasserläufe, verschneite Straßen und Autobahnen
Viele Passstraßen in Gangwon-do verlaufen auf einer Höhe um die 1.000m über dem Meeresspiegel. Die im Hochgebirge entspringenden Wasserläufe münden meist in den Fluss Han-gang. Bis in die 1930er Jahre wurde der Han-Fluss als Wasserweg zum Transport von Waldressourcen genutzt, da die Landwege zu uneben waren. Das Holz aus den nördlichen Provinzkreisen wie Inje und Yanggu kam an der Sammelstelle am Fluss Bukhan-gang an, und das aus den südlichen wie Jeongseon, Pyeongchang und Yeongwol am Fluss Namhan-gang, wo es zu Gestören zusammengebunden Richtung Seoul geflößt wurde. Von Inje bis Chuncheon dauerte es einen Tag und von Chuncheon nach Seoul ein bis zwei Wochen. Um Müdigkeit und Langeweile zu vertreiben, sangen die Flößer das Ttenmok Arirang (Floß-Arirang), eine Version des Gangwondo-Arirang mit abgewandeltem Text. Auf den Flößen wurden ab und zu auchhochwertiges Porzellan aus Bangsan, Kreis Yanggu-gun, sowie Heilkräuter und Brennholz befördert.
Der Fluss Bukhan-gang war eine wichtige Verkehrsverbindung zwischen Chuncheon und Seoul. Mit Salz aus Seoul oder Naturalabgaben aus der Gangwon-Provinz beladene Schiffe nutzten diesen Wasserweg, bis er Anfang der 1940er Jahre durch den Bau von Staudämmen für Wasserkraftwerke blockiert wurde. Von da an floss Strom nach Gangwon-do. Am Fluss Naerin-cheon in Inje, auf dem sich einst die aneinandergereihten Flöße zum Gesang der Flößer fortbewegten, sind jetzt die Jubelschreie von jungen Raftern zu hören.

Das Ostmeer, an dessen Küste alle Wege durch Gangwon-do enden, ist für die Koreaner weit mehr als einfach nur ein im Osten liegendes Meer. Es ist vielmehr ein Objekt des Glaubens.

Während die Wasserstraßen die Provinz Gangwon-do an die Außenwelt anbanden, schneiden ihre schneebedeckten Straßenden Austausch ab. Sich einen Weg durch den kniehohen Schnee der Provinz zu bahnen, ist ein noch unerbittlicheres und verzweifelteres Unterfangen als sein Brot mit Tränen zu essen. Diese Wege sind in Literatur und Kunst Metaphern für Askese undRückkehr. So lässt z.B. Hwang Sok-yong (geb. 1943) in seiner Erzählung Der Weg nach Sampo (1973) die drei von der Welle der Industrialisierung weggespülten Protagonisten auf der Suche nach einem unbekannten Ort namens „Sampo“ auf schneebedeckten Wegen herumirren. Und im Film Snowy Road (2015), der von der Heimkehr junger Trostfrauen, die im Zweiten Weltkrieg von den Japanern in die Prostitution gezwungen worden waren, erzählt, ist zu sehen, wie die Mädchen durch den Weißbirkenwald in Inje vor der Kulisse der endlosen Gipfel des Daegwallyeong-Bergpasses nach Hause trotten.
Nachdem 1971 der erste Streckenabschnitt der Yeongdong-Autobahn von Pangyo bis zur Saemal-Kreuzung in Wonju eröffnet wurde und 1975 der zweite Streckenabschnitt über Heongseong und Pyeongchang bis Gangneung folgte, ziehen die Trails in den Bergen von Gangwon-do unabhängig von der Jahreszeit Bergwanderer aus den Städten an. Um 1975 wurde auch ein Teil des militärischen Sperrgebietes an der Ostküste der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In den 1970ern war der Song Walfang von Song Chang-sik vom Soundtrack des Filmhits Der Marsch der Narren (1975) ein Hit unter den jungen Leuten, den sie lautstark zur akustischen Gitarre sangen. Der Refrain lautet „Los, lasst uns aufbrechen, auf zum Ostmeer!“ Egal ob mit dem Bummelzug, der sich langsam durch die Berge wand, oder mit dem Expressbus über die Autobahn: Für die jungen Menschen von damals war es das Größte, in den Sommerferien mit lässig über die Schultern geschlungener Campingausrüstung ans Ostmeer zu fahren.
1975, als die Yeongdong-Autobahn vollständig freigegeben wurde, eröffnete am schneebedeckten Daegwallyeong-Pass der Yongpyeong Skiresort, der heute Hub des nationalen Wintersports ist. Im Sommer 2017 fand am Gipfel dieser Piste ein Event für die erfolgreiche Austragung der Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang statt.

An der Ostküste der Provinz Gangwon-do gibt es viele Orte, von denen aus man das herrliche Panorama der aus dem Ostmeer aufsteigenden Sonne genießen kann. Für die Koreaner ist das Ostmeer nicht nur ein ernster, an die Geschichte erinnernder Ort, sondern auch ein Ort, an dem sie den Alltag hinter sich lassen können.

Auf dem Weg zum Ostmeer
Im Dezember 2016 sang die Sängerin Han Young-ae bei den Kerzenlichtdemonstrationen in Seoul, an der insgesamt über zwei Millionen Menschen teilgenommen haben sollen, mit ihrer typischen, heiseren Stimme Mein Land, mein Volk, das wie folgt beginnt: „Seht! Die über dem Ostmeer aufgehende Sonne! / Auf wen richtet sie ihre sengenden Strahlen? / Auf uns, die wir edle Reinheit erlangt haben / im Laufe des blutigen Kampfes.“Der Text wurden in den 1970ern von dem Sänger Kim Min-gi verfasst, der als Student das legendäre Widerstandslied Morgentau verfasst und komponiert hatte. Den Text von Walfang schrieb Choi In-ho (1945-2013), der damals als aufsteigender Stern am Schriftstellerhimmel gefeiert wurde. Unabhängig davon, ob die Yeongdong-Autobahn als Symbol zur Beschleunigung von Industrialisierung und Wirtschaftsentwicklung oder als Ergebnis der Entwicklungsdiktatur zu betrachten ist, kann es durchaus als Ironie der Geschichte bezeichnet werden, dass sich der Zeitpunkt ihrer Freigabe für den Verkehr mit der Veröffentlichung dieser Lieder überschneidet.Das Ostmeer, an dessen Küste alle Wege durch Gangwon-do enden, ist für die Koreaner weit mehr als einfach nur ein im Osten liegendes Meer. Es ist vielmehr ein Objekt des Glaubens. Nur so ist es zu verstehen, warum sie mit solcher Inbrunst die Pässe des Baekdu Daegan wie Daegwallyeong, Hangyeryeong und Misiryeong überqueren und in dem Moment, wenn sie das Ostmeer erblicken, unbewusst und wie befreit von den Belanglosigkeiten des erdrückenden Alltags tief aufatmen; oder warum sie noch halb schlaftrunken über die Yeongdong-Autobahn an die Ostmeerküste eilen, um dort den Strand auf- und ablaufend auf den Sonnenaufgang des neuen Jahres zu warten. Soweit die Einstimmung! Es ist Zeit, der Musik zu lauschen.



PyeongChang Music Festival & School

verleiht Gangwon-do kulturelles Flair

Ryu Tae-hyung Musik-Feuilletonist

Das PyeongChang Music Festival & School (PMFS), das sich mittlerweile als eins der internationalen Musikfeste etabliert hat, wurde erstmals 2004 im Yongpyong Ski Resort ausgerichtet. Nach dem Vorbild des amerikanischen Aspen Music Festival and School wurde es als Sommerfestival mit Aufführungen klassischer Musik in Kombination mit Ausbildungsprogrammen organisiert. Aspen, einst ein verlasssener Bergbaufleck, ist heute eine prosperierende Kleinstadt mit über 6.000 Einwohnern, und seit der Veranstaltung des ersten Musikfestivals im Jahr 1949 ein Mekka der klassischen Musik.mit 6.000 Einwohnern, hat sich mit der Veranstaltung des im Jahr 1949 begonnenen Musikfestivals zu einem repräsentiativen Musikfestivalort der USA entwickelt.

Unter der Leitung von Dirigent Zaurbek Gugkaev führt die Mariinsky Orchester- und Operngesellschaft aus St. Peterburg im Alpensia Music Tent Sergei Prokofjews Oper Die Liebe zu den drei Orangen auf. Die auf dem gleichnamigen Märchenspiel des italienischen Theaterdichters Carlo Gozzi beruhende Oper wurde in Korea erstmals im Rahmen des 2017 PyeongChang Music Festivals inszeniert.

Nach dem Vorbild von Aspen wurde das PMFS unter Federführung von Kang Hyo, Professor an der Juilliard School, in Zusammenarbeit mit dem koreanischen Streichorchester Sejong Soloists vorangetrieben. Der Anfang war alles andere als leicht. Die Nunmaeul-Eventhalle, die Hauptbühne des Festivals, war kein Konzertsaal, sodass man auf Mikrofonverstärkung angewiesen war, damit die Musik das Publikum überhaupt richtig erreichen konnte. Zudem wurden im Yongpyong Ski Resort gleichzeitig mehrere Events ausgerichtet. In den Anfangsjahren wurde das Publikum z.B. während eines Konzerts von dem Kampfschreien eines in der Nähe stattfindenden Kendo-Wettbewerbs aufgeschreckt.
Doch schließlich lockte das PMFS, das in Höhenlagen von 700m über dem Meeresspiegel stattfindet, und Erholungsmöglichkeiten mit dem Genuss musikalischer Performances unter jährlich unterschiedlichen Themen bietet, immer mehr Musikfans nach Pyeongchang. Das sorgfältige Programm-Arrangement mit jährlich unterschiedlichen Themen hat die Aufmerksamkeit der Musikkreise im In- und Ausland auf sich gezogen. Das Festival präsentiert nicht nur einfach klassische Werke, sondern befördert musikalische Vielfalt durch die Präsentation von Weltpremieren, Asienpremieren oder Koreapremieren von weniger bekannten Meisterwerken und sowieexperimentelle moderne Musikstücke und vollbringt damit musikalische Großleistungen. 2010 wurde der ausschließlich klassischer Musik vorbehaltene Alpensia Konzertsaal eröffnet, sodass die Vorführungen endlich richtig genossen werden können. 2010 war zudem ein Jahr der Rekorde, da sämtliche Vorführungen der „Konzertserien mit renommierten Musikern“ komplett ausverkauft waren. Die beständige Teilnahme namhafter Musiker und renommierter Professoren hat zudem bewirkt, dass sich immer mehr exzellente Musikschüler aus der ganzen Welt bewerben.

Seit dem achten Festival im Jahr 2011 sind die Cellistin Chung Myung-wha und die Geigerin Chung Kyung-wha als Künstlerische Direktorinnen des Festivals aktiv. Ihre internationalen Netzwerke kamen dem Festival zugute, sodass bereits im ersten Jahr ihrer Tätigkeit das 8. Festival, das unter dem Motto „Illumination“ abgehalten wurde, eine Rekord-Besucherzahl von 35.000 erreichte. Außerdem wurde das Programm für das allgemeine Publikum vielseitiger gestaltet und um eine Konzerttour durch Gangwon-do erweitert, auf der die Musiker auch das Publikum in anderen Städten der Provinz aufsuchen.
Im Mittelpunkt des Festivals 2017 stand russische Musik zum Thema „Lied der Wolga“, wobei insbesondere die Opernaufführung im 2012 eröffneten Alpensia Music Tent von symbolischer Bedeutung war. Das Festival, das sich anfangs aufgrund der gegebenen Umstände auf kammermusikalische Aufführungen beschränken musste, bewies damit, dass es nun auch hardwaremäßig für große Bühnenstücke wie Opern ausgestattet ist. Junge Musiker wie Vize-Direktorin und Pianistin Son Yeol-eum spielten in Ensembles tief ergreifende Musik. Die Harmonie Das harmonische Zusammenspielen von Musikern aus unterschiedlichen Generationen und Ländern hat sich also bewährt hat einen festen Platz genommen. 2017 fiel im Publikum die Anwesenheit besonders viele Vertreter nationaler und öffentlicher Künstlerverbände ins Auge, die gekommen waren, um sich das Festival als Benchmarking-Modell anzusehen.

Für die Konzertserien mit renommierten Musikern des 2017 PyeongChang Music Festival spielten die Cellisten Chung Myung-wha, Luís Claret und Laurence Lesser (von links) Requiem von David Popper unter Klavierbegleitung von Kim Tae-hyung.

Das Festival bietet eine wohlausgewogene Kombination von Darbietungen renommierter Musiker und Musikschulung. Die Schüler nehmen nicht nur an den Kursen der Maestros teil, sondern schauen sich mit ihnen gemeinsam Vorführungen an, gehen gemeinsam essen oder spazieren oder treffen sich auf eine Tasse Kaffee begegnen ihnen beim Essen, Spaziergang oder im Kaffee.Auch die beiden Künstlerischen Direktorinnen Chung Myung-hwa und Chung Kyung-hwa verleihen dem Festival Glanz. Sie haben ihre außerordentliche Kompetenz in puncto Auswahl von Repertoire und Musikern bewiesen. Das Festival war auch erfolgreich in puncto Anwerbung von Sponsoren-Unterstützung und Pflege guter Beziehungen zu den Sponsoren. 2017 wurden von der Yamaha Corporation 40 Klaviere zur Verfügung gestellt, sodass man an verschiedenen Orten des Alpensia Resorts üben konnte. Auch kam Unterstützung von Fluggesellschaften und lokalen Firmen in Gangwon-do wie der Kaffeefirma Terarosa.

Seit Februar 2016 wird zudem das PyeongChang Winter Music Festival veranstaltet. Das vom Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus präsentierte und von der Kunst- und Kulturstiftung Gangwon organisierte Festival wurde eingerichtet, um anlässlich der Olympischen Winterspiele 2018 regionale Sonderzonen in Gangwon-do zu fördern. Auf dem ersten Festival wurden neben Solo-Aufführungen und Kammermusik-Konzerten der Gewinner des Tschaikowski-Wettbewerbs und klassischen Konzerten auch Performances von Jazz-Musikern wie der koreanischen Sängerin Nah Youn-sun und des schwedischen Gitarristen Ulf Wakenius dargeboten. So wurden die Genres erweitert und die Hemmschwelle für das Publikum gesenkt.Die Zahl derer, die eigentlich zum Skifahren nach Gangwon-do gekommen waren und zufällig das Festival besuchten, war nicht gering, soadss der Kassenverkauf vor Ort die Erwartungen übertraf. Das PyeongChang Music Festival & School und das PyeongChang Winter Music Festival, abgehalten vor einer reizvollen Bergkulisse, wird das Image von Gangwon-do als eine Region von kultureller Exzellenz und sauberer natürlicher Umgebung befördern.

Lee Chang-guy Dichter und Literaturkritiker
Ahn Hong-beomFotos

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