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2019 WINTER

Spezial

Busan: Hafen der Poesie und PassionSpezial 5 Stadt des Films mit facettenreicher Infrastruktur

Busan ist nicht nur deshalb als „Stadt des Films“ bekannt, weil es Gastgeber des Busan International Film Festivals (BIFF) ist. Den Namen verdankt es vielmehr seinen diversen Filminstitutionen und -organisationen, die in ihren jeweiligen Bereichen beeindruckende Leistungen erbringen.

Das 24. Busan International Film Festival (BIFF) wurde am 3. Oktober 2019 im Busan Cinema Center eröffnet. Das 2011 fertiggestellte Center – ein Komplex aus zwei vierstöckigen und einem neunstöckigen Gebäude – ist Exklusivveranstalter und Herzstück von Busans Filminfrastruktur. © NewsBank

2017 erschien das Buch Busans kulturelle Infrastruktur und Festivals, herausgegeben vom Institute for Humanities and Social Sciences der Pukyong National University. Als Mitverfasser fragte ich mich damals selbst: Kann Busan sich wirklich zu einem Zentrum der Kultur entwickeln? Anfangs war ich eher skeptisch. Doch während der Recherchen für meinen Beitrag änderte ich meine Meinung komplett – zumindest was den Filmbereich betrifft.

Davor hatte ich noch nie ernsthaft über Busans Filminfrastruktur nachgedacht, sondern angenommen, dass das BIFF alles ist, was die „Filmstadt Busan“ und die „Busaner Filmindustrie“ zu bieten haben. Doch das war ein großes Missverständnis und Vorurteil. Nach eingehenden Recherchen wurde klar, dass die Stadt in Bezug auf cineastische Einrichtungen und Institutionen gut aufgestellt ist. Sogar das Korean Film Council sowie das Korea Media Rating Board, deren Zuständigkeitsbereich ganz Korea umfasst, sind 2013 von Seoul nach Busan umgezogen, was Busans Status als Filmstadt weiter gehoben hat.

Darüber hinaus gibt es natürlich noch weitere Akteure und Festivals, deren Einfluss nicht unerwähnt bleiben darf: Die Cinematheque Busan, das Busan Cinema Center, die Busan Film Commission und die Busan Film Critics Awards sind alle tragende Säulen der Koreanischen Filmindustrie.

Kinofans bei einer Filmvorführung während des 24. Filmfestivals auf dem BIFF Square, einer Freilichtbühne im alten Stadtkern von Nampo-dong. Bis 2003, als der Hauptveranstaltungsort nach Haeundae verlegt wurde, fanden die wichtigsten BIFF-Events auf diesem Platz statt. © Busan Metropolitan City

Vorreiterrole
Unter „Kinemathek“ versteht man ein Filmarchiv oder einen Ort, in dem archivierte Filme aufgeführt bzw. angeschaut werden können. Die 1999 auf dem Gelände der Suyeong-Marina in Haeundae eröffnete Cinematheque Busan war die erste ihrer Art in Korea. Sie zeigte bislang meistens wertvolle Klassiker sowie qualitativ hochwertige Kunst- und Indie-Filme, die in kommerziellen Kinos selten laufen. Die Kinemathek, die seit 2007 auch über ein Filmarchiv verfügt, hat zudem mit einem breitgefächerten Bildungsangebot dazu beigetragen, das film- und kinobezogene Wissen des allgemeinen Publikums zu erhöhen.

Sie ist mittlerweile ins 2011 eröffnete Busan Cinema Center umgezogen. Das Center, das in einem von dem österreichischen Architekturbüro Coop Himmelb(l)au entworfenen Gebäude untergebracht ist, hat einen entscheidenden Beitrag zur Wiederbelebung nicht nur der Kinemathek, sondern auch des BIFF geleistet.

Zu den Kerninstitutionen der Busaner Filminfrastruktur zählt auch die 1999 von der Metropolregierung eingerichtete Busan Film Commission (BFC), die erste ihrer Art in Korea und die zweite in ganz Asien. Zu der Zeit erlebte die koreanische Filmindustrie eine Renaissance und Aufgabe der Kommission war es, ein One-Stop-Verwaltungsprocedere für die Unterstützung von Filmproduktionen zu entwickeln. Andere Städte und Provinzen zogen nach, sodass es heute landesweit insgesamt 13 regionale Filmkommissionen gibt.

Nach dem Stand von Dezember 2018 hat die BFC die Produktion von insgesamt 1.303 Filmen und visuellen Contents unterstützt und setzt sich für einen weiteren Ausbau der Filmindustrie-Infrastruktur ein. Ergebnisse dieser Bemühungen sind z. B. das Busan Cinema Studio und das Cinema House Hotel in Busan, die ein angenehmeres Arbeitsumfeld während der Shootings bieten, das Busan Cinema Venture Center zur Unterstützung von regionalen Start-ups im Bereich Film und visuelle Medien, die Busan Asian Film School zur Förderung der professionellen Ausbildung im Filmbereich sowie das Busan Visual Industry Center, das Unternehmen in der Film- und Videobranche aus Busan sowie der Metropolregion Seoul anzieht und kreative Humanressourcen heranzieht.

Ich hatte stets angenommen, dass das BIFF alles ist, was die „Filmstadt Busan“ und die „Busaner Filmindustrie“ zu bieten haben. Doch das war ein großes Missverständnis und Vorurteil. Nach eingehenden Recherchen wurde mir klar, dass die Stadt in Bezug auf cineastische Einrichtungen und Institutionen gut aufgestellt ist.

Lady-Bird Transformation (Mirage) von Ralf Volker Sander, 2012, Stahl, 10,2 × 4.6 × 2,6 mDiese Skulptur auf dem Dureraum Square des Busan Cinema Center wurde unter einer Vielzahl internationaler Bewerbungen ausgewählt. Von vorne gesehen ist die Skulptur wie eine Frauengestalt geformt, von der Seite ähnelt sie jedoch einer Möwe. © Eunhoxxi, Naver blog

Einen eigenen Weg bahnen
Im September 1950 wurde in Busan – damals noch die provisorische Hauptstadt Südkoreas – die Korean Association of Film Critics (KAFC) gegründet. Ihr folgte 1958 die Busan Film Critics Associa-tion (BFCA), die heute landesweit einzige regionale Filmkritiker-Vereinigung. Zu ihren erklärten Zielen gehören Verbesserung und Entwicklung der Filmkultur durch Rezensionen zu Filmen aus dem In- und Ausland, Schärfung des kritischen Auges der Öffentlichkeit sowie Förderung von Forschungen und Durchführung von diesbezüglichen Aktivitäten. Die BFCA übernahm auch die Federführung bei den 1958 von der Tageszeitung Busan Ilbo ins Leben gerufenen Buil Film Awards. Mit ihren strengen Filmkritiken und Empfehlungen von qualitativ hochwertigen Werken trug die BFCA nicht nur zur Entwicklung des koreanischen Films bei, sondern vertiefte auch das diesbezügliche Verständnis und Urteilsvermögen der allgemeinen Öffentlichkeit.

Seit 2000 verleiht die BFCA zudem die Busan Film Critics Association Awards, die für regionalen Touch und Unkonventionalität bekannt sind. Diesem Filmkritikerpreis haftet ein beabsichtigter Schwenk hin zu regionalen Filmen oder Filmen jenseits des Mainstream an, was besonders deutlich wird, wenn man die von der BFCA preisgekrönten Filme mit denen der KAFC vergleicht: Zum Beispiel wurde im Jahr 2000 bei den 20. KAFC Awards der Film Peppermint Candy (1999) unter der Regie von Lee Chang-dong als bester Film ausgezeichnet, der anhand eines originären Plots die unglückliche Geschichte des Protagonisten gekonnt mit der Tragik der modernen Geschichte Koreas verbindet. Hingegen ging im selben Jahr bei den damals ersten Busan Film Critics Association Awards die höchste Auszeichnung an Hong Sang-soos Virgin Stripped Bare by Her Bachelors (2000), der die Dreiecksbeziehung zwischen zwei Männern und einer Frau thematisiert. Bei den KAFC Awards war Hong leer ausgegangen.

Den Preis für die beste Regie vergab die KAFC damals an Lee Chang-dong, während die BFCA diese Auszeichnung dem Regisseur Bae Chang-ho zusprach, und zwar für seinen in der Öffentlichkeit relativ unbekannten Film My Heart. Dieser Trend wiederholte sich auch 2018, als bei den KAFC Awards Jang Joon-hwans 1987: When the Day Comes (2017) zum besten Film gekürt wurde. Vor dem Hintergrund des Aufstands für Demokratie im Juni 1987 erzählt dieser Film von der Sehnsucht der koreanischen Bürger nach Demokratie. Der Busaner BFCA-Preis wurde hingegen für The Remnants (2016) verliehen, einen Dokumentarfilm, der die Geschichte der kleinen Leute thematisiert, die sich 2009 im Seouler Stadtviertel Yongsan gegen die Zwangsräumung im Zuge eines geplanten Sanierungsprojekts wehrten. Während der Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es zu einem Brand, der mehrere Todesopfer forderte.

Diese nicht geringen Unterschiede in der Akzentsetzung der beiden Filmverbände sind zwar nicht immer gegeben, zeigen aber doch deutlich die Existenzberechtigung der BFCA. Während die KAFC, die in Bezug auf Größe und Mitgliederzahl konkurrenzlos ist, heute orientierungslos hin und her schwankt, hält die BFCA konsequent an der für sie charakteristischen Linie fest.

Jubelnde Menge bei einer Freilicht-Performance, die als Teil des 2017 Busan Food Film Festa im Busan Cinema Center veranstaltet wurde. © Busan Cinema Center, Busan Food Film Festa

Noch mehr Festivals
Es gibt natürlich noch weitaus mehr nennenswerte Institutionen und Verbände, die mit der Filmindustrie der Stadt in Verbindung stehen. So ist Busan z.B. Gastgeber mehrerer Filmfestivals, darunter das 2019 bereits zum 21. Mal ausgerichtete Independent Film Festival Busan unter der Regie der 1999 gegründeten Association of Busan Independent Film, die Buil Film Awards, die für Fairness und Transparenz des Auswahlverfahrens bekannt sind, und das Busan International Short Film Festival, das 1980 als „Korea Short Film Festival“ ins Leben gerufen wurde und seitdem einschneidende Veränderungen durchlaufen hat. Und es geht noch weiter: In Haeundae lockt die sog. „Filmstraße“ neben Einheimischen auch Touristen aus dem In- und Ausland an. Im „Texas-Viertel“ gegenüber dem Busaner Hauptbahnhof verwöhnt das chinesische Restaurant Jang Seong Hyang, das durch Park Chan-wooks Oldboy (2003) für seine frittierten Mandu-

Maultaschen bekannt wurde, den Gaumen der Gäste. An der Straße Daecheong-ro im Bezirk Jung-gu heißt zudem das Busan Museum of Movies die Besucher willkommen. Busan hat den Titel „Stadt des Films“ auf jeden Fall verdient!

Studierende der Filmakademie des Busan Cinema Center bei einem Kurs über Videoproduktion. Die Akademie bietet pro Jahr mehr als 50 Kurse für angehende Filmemacher an. © Busan Cinema Center

Busan bietet Kulissen für viele Filme. Beomil-dong ist in einer Reihe beliebter Streifen zu sehen, darunter Kwak Kyung-taeks Friend (2001), Im Kwon-taeks Low Life (2004) und Bong Joon-hos Mother (2009). © Moon Jin-woo

Eine Szene aus Nameless Gangster: Rules of the Time, 2012 unter der Regie von Yoon Jong-bin gedreht. Kulisse des Films war die Yeongdo-Werft von Hanjin Heavy Industries & Construction. © Showbox

Filmdirektor Yeon Sang-hos Hit Train to Busan (2016) wurde in den Busan Cinema Studios gedreht. Diese beiden von der Filmkommission gemanagten Innenstudios sind jeweils 826 m² bzw. 1.653 m² groß. © Next Entertainment World

Erfreuliche Ergebnisse des 24. BIFF

Das 24. Busan International Film Festival (BIFF) im Jahr 2019 konnte einige wertvolle Ergebnisse erzielen, die die künftige Richtung des Festivals bestimmen dürften. Von den insgesamt 299 eingeladenen Filmen aus 85 Ländern wurden 118 (95 Langfilme, 23 Kurzfilme) auf dem Festival welturaufgeführt und 27 (26 Langfilme, 1 Kurzfilm) feierten ihre internationale Premiere, was noch einmal den internationalen Status des BIFF als Asiens bestes und größtes Filmfestival unterstreicht.

Am beachtenswertesten war diesmal die Retrospektive zu Kameramann Jung Il-sung. Dadurch konnten die koreanischen Filmretrospektiven, die bislang nur Regisseuren und Schauspielern gewidmet waren, inhaltlich erweitert und vertieft werden. Es wird erwartet, dass nicht wenige internationale Filmfestivals diese Neuerung benchmarken werden.

Für Furore sorgte das 24. BIFF auch dadurch, dass es zum ersten Mal in seiner Geschichte mit einem Film aus Zentralasien eröffnet wurde, und zwar mit The Horse Thieves. Roads of Time (2019) des kasachischen Regisseurs Yerlan Nurmukhambetov, der 2015 auf dem 20. BIFF für Walnut Tree (2015) mit dem Preis der Kategorie „New Currents“ ausgezeichnet wurde, und der japanischen Regisseurin Lisa Takeba. Die brilliante Inszenierung des einfachen, aber sich dramatisch entwickelnden, im Titel angedeuteten Ereignisses, die ungekünstelten Charaktere und die realitätsnahe Darstellung sowie der Mise en Scène im Western-Stil, der an John Fords Der Schwarze Falke (1956) oder Clint Eastwoods Erbarmungslos (1992) erinnert, haben ohne Zweifel gewisse Erwartungen an die Zukunft des kasachischen Films geschürt.

Doch zugegebenermaßen ließ sich eine gewisse Verunsicherung über die Zukunft des BIFF, das sich bereits eines beachtlichen internationalen Ansehens erfreuen kann, nicht ganz abschütteln. Der angekündigte Taifun blieb aus, das Wetter spielte im Vergleich zu den Vorjahren mit und es war das zweite Festival unter der Leitung des 2018 umgebildeten Organsiationskomitees. Dennoch lag die Zahl der Besucher mit 189.116 um ca. 6.000 unter der von 2018, als der Festivalstandort von einem Taifun heimgesucht wurde. Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich das Festival noch immer nicht ganz von den Folgen der politischen Konflikte, die durch die Vorführung des Dokumentarfilms The Truth Shall Not Sink with Sewol (koreanischer Titel: Taucherglocke) im Jahr 2014 ausgelöst wurden, erholt hat. In dem Jahr plante das BIFF die Vorführung dieses Dokumentarfilms, der die Bemühungen zur Rettung der ein halbes Jahr zuvor gesunkenen Passagierfähre Sewol kritisierte. 304 Passagiere starben, die meisten waren Oberschüler auf Klassenfahrt, die angewiesen wurden, an Bord zu bleiben, anstatt in die Rettungsboote zu steigen. Die Regierung und die Stadt Busan forderten, die Ausstrahlung der umstrittenen Dokumentation abzusagen, doch das BIFF zeigte den Film. 2016 trat der Bürgermeister von Busan aufgrund von Vorwürfen, regierungskritische Inhalte zu unterdrücken, von seinem BIFF-Vorsitz zurück. Im selben Jahr riefen koreanische Filmverbände ihre Mitglieder im Namen der künstlerischen Freiheit zu Boykotten des Festivals auf. Das BIFF-Komitee hatte damals große Schwierigkeiten, das Programm zu füllen.

Es ist allerdings noch zu früh festzustellen, ob es sich bei dem Besucherrückgang um eine vorübergehende Flaute oder um den Vorboten einer ernsthafteren Krise handelt. Doch es steht außer Zweifel, dass nach den Ursachen gesucht und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden sollten.

Direktor David Michôd (rechts außen), Hauptdarsteller Timothée Chalamet (zweiter von rechts) und andere Cast-Mitglieder von The King, eines vielbeachteten Films beim Busan International Filmfestival 2019, posieren zusammen mit Kinogängern für ein Foto. © Busan International Film Festival

Jeon Chan-ilFilmkritiker, Präsident des koreanischen Verbandes für Kulturinhalte und Kritik

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