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2018 SPRING

Kulturschock durch Gewöhnlichkeit

Die meisten koreanischen Besucher von Ingo Baumgartens Ausstellungen dürften sich unwillkürlich fragen, um was es bei seinen Gemälden eigentlich geht. Aber dann verlassen sie die Ausstellung nicht nur mit Erinnerungen an längst vergessene Anblicke, sondern auch mit einem neuen Bewusstsein dafür, dass alte, vertraute Szenen amüsant und erfrischend sein können.

Ingo Baumgarten betrachtet Architektur als ein kulturelles Produkt, das die lokale Geschichte und humanistische Merkmale in sich birgt. Er bringt sein Interesse an den „westlichen“ Häusern der koreanischen Mittelschicht, die in den Zeiten von Industrialisierung und schnellem Wirtschaftswachstum von den 1970er bis in die 1990er Jahre gebaut wurden, auf die Leinwand.

Auf den ersten Blick scheint Ingo Baumgarten nicht gerade begeistert vom Leben in Korea zu sein. Der deutsche Maler und Professor hat kaum Kontakt zu den Leuten, seien es Koreaner oder Expats. Diese Gleichgültigkeit mag noch aus der Zeit stammen, als er 1993 als Kunststudent zum ersten Mal nach Korea kam, um sich die Daejeon Expo anzusehen. Er war unbeeindruckt.

„Die meisten Gebäude waren neu, glänzend und groß. Ihre Ausmaße und Uniformität erinnerten mich an osteuropäische Länder wie z.B. Ungarn“, sagt er. „Genau so seltsam muteten die zahlreichen in Korea produzierten Autos an. Auf den Straßen waren nur wenige ausländische Modelle zu sehen.“

Baumgartens Empfinden änderte sich, nachdem er eine Koreanerin geheiratet, an einer Universität zu unterrichten begonnen und sich 2008 in Seoul niedergelassen hatte. Der Nichtraucher, der nur selten ein Glas trinkt, lebt weiterhin zurückgezogen und widmet den größten Teil seiner Freizeit Frau und Sohn. Aber jetzt gibt es vieles, was er an Korea mag, angefangen von der Natur bishin zum Essen. Er lobt die Infrastruktur in Seoul als „äußerst gut“ und findet sein Leben hier „recht bequem, trotz der Menschenmassen“. Und trotz der ständig präsenten Bedrohung durch einen Krieg mit Nordkorea fühlt er sich ziemlich sicher, weil es im Vergleich zu einigen europäischen Staaten oder den USA wenig Kriminalität und Gewalt gibt.

Berufliche Sicherheit, öffentliche Sicherheit, persönlicher Komfort und Annehmlichkeit dürften entscheidende Faktoren bei der Entscheidung, wo man sich niederlassen soll, sein. Aber es braucht schon mehr als Zufriedenheit mit Bezug auf diese Aspekte, um einen ernsthaften Künstler und Kunsttheoretiker wie Baumgarten für über ein Jahrzehnt in Korea zu halten. Für ihn spielen die kulturellen und historischen Besonderheiten des Landes eine entscheidende Rolle.

Baumgarten lebt in der Nähe der Hongik Universität, wo er als Professor für Malerei tätig ist. Das Gebiet um die Universität wird nach der koreanischen Abkürzung für die Hochschule „Hongdae“ genannt. Nicht nur bei jungen Koreanern, sondern auch bei Ausländern gilt es als Vergnügungsviertel. Was den ruhigen, leise sprechenden und nachdenklichen Maler in dem Viertel hält, sind nicht die touristischen Hotspots oder die Menschenmassen, die die Gegend bevölkern. Sein Interesse als Künstler stimuliert etwas, auf das die meisten nie kommen würden: Es sind die „Yangok“, ein- oder zweistöckige Wohnhäuser im westlichen Stil, die meist zwischen den 1970er und 1990er Jahren gebaut wurden. Mit drei bis fünf Schlafzimmern stehen die Yangok für das Selbstvertrauen und den Optimismus, der koreanischen Mittelschichtfamilien in den Zeiten des Wirtschaftswachstums nach dem Koreakrieg eigen war. Heute sind sie archaische Erinnerungen an diese Zeit. Die Yangok, die sich meist in alten, manchmal etwas heruntergekommenen Wohnvierteln in Stadtbezirken wie Mapo-gu im westlichen Seoul finden, stehen nicht nur in scharfem Kontrast zu den traditionellen Hanok-Häusern, sondern auch zu den reicheren Gegenden der Hauptstadt und den Luxusapartments im vornehmen Bezirk Gangnam-gu.

Warum die Yangok?

Baumgarten hat mehr als nur ein paar Gründe für seine Fixierung auf Yangok. Seine Begründung fußt v.a. auf dem Grundprinzip seines künstlerischen Strebens: Material im Panorama seiner alltäglichen Routine zu entdecken.Er streift durch seine Nachbarschaft in Seogyo-dong sowie das nahe Hapjeong-dong und Sangsu-dong und betrachtet die Dandok jutaek, die frei stehenden Einfamilienhäuser, die sich von den Wohnhochhäusern, die das Bild koreanischer Städte bestimmen, unterscheiden. Trifft er auf ästhetisch inspirierende Baustrukturen– nicht nur Häuser, sondern auch Brücken, Schulen oder U-Bahnstationen – fotografiert oder zeichnet er sie, um sie später für seine Gemälde zu nutzen.

Ein weiterer Grund, den er anführt, klingt etwas ironisch. Die meisten Koreaner betrachten Yangok als westlich. In Baumgartens Augen könnten sie aber kaum koreanischer sein. „Die Erbauer und Hauseigentümer wollten offensichtlich amerikanische Elemente wie Terrassen und Gärten einführen“, sagt er. „Aber die meisten Yangok bewahren traditionelle koreanische Baustilelemente wie z.B. geschwungene Linien und eine starke Betonung des Haupteingangstors.” Diese Mischung führt in den meisten Fällen dazu, dass der Bau letztendlich eine Mischung beider Stile ist oder aber keinen von beiden widerspiegelt. Während viele koreanische Kritiker die Häuser im letzteren Sinne als stillos beurteilen, ist Baumgarten anderer Meinung. Tatsächlich wird den Koreanern oft vorgeworfen, dass sie aus Ignoranz ihre eigenen Kulturgüter vernachlässigen und alles Ausländische bewundern. Für Baumgarten sind die Yangok nur ein weiteres Beispiel für eine solch unangebrachte Bewunderung.

Visuelle Anthropologie

Baumgartens Lieblingsthematik liegen aber über reine Ästhetik hinaus noch andere – und tiefgründigere – Sachverhalte zugrunde. Das einzige Kernkonzept, auf dem seine jahrzehntelange Karriere fußt – er hat in Deutschland, Frankreich und Großbritannien studiert und gearbeitet und danach in Japan, Taiwan und Korea – ist „VisuelleAnthropologie“, die er als „die Erforschung von Alltagsleben, Kultur und Gesellschaft durch teilnehmende Beobachtung und ihre Transformation in Bilder und Kunstwerke“ definiert.

„Wenn meine Gemälde, die solche Gebäude darstellen, bei koreanischen Betrachtern Erinnerungen wachrufen, oder wenn sie auch nur kleine Änderungen ihrer Meinung über solche Häuser bewirken, dann bin ich schon zufrieden.“

Ohne Titel (schwefelgelber Balkon; Seogyo-dong, Seoul) 2012-2013, Öl auf Leinwand, 100 x 120cm.

Während seiner Studien und Arbeiten in den letzten rund 30 Jahren war Baumgarten stets um Relevanz bemüht, indem er seine Arbeit in Verbindung mit Gesellschaft und Realität brachte. „Während die Anthropologie alles im Zusammenhang mit dem Menschen Stehende erforscht, fokussiert die Visuelle Anthropologie auf Artefakte und visuell wahrnehmbare Auswirkungen menschlichen Verhaltens“, fügt er hinzu.

Er betont, dass er die Motive seiner Gemälde mit einer gewissen „ambivalenten Distanz“ betrachtet und analysiert, wie ein Passant, der nicht involviert ist, und so versucht, urteilsfrei zu beschreiben und zu präsentieren. Aber er erkennt auch, dass das nicht hundertprozentig möglich ist.

„Ich bin mir wohl bewusst, dass völlige Objektivität eine Illusion ist, weshalb ich auch nicht versuche, meine Vorliebe für Yangok-Architektur zu verstecken. Aber ich möchte auch nicht, dass meine Bilder wie Hilfeschreie oder Petitionen zur Rettung und Erhaltung der Yangok wirken“, erklärt er.

„Aber wenn meine Gemälde, die diese Gebäude oder Gebäudedetails darstellen, unter den koreanischen Betrachtern einige Erinnerungen wecken, oder wenn sie ihre Meinung über solche Häuser auch nur etwas zu ändern vermögen, dann bin ich schon zufrieden.“ Baumgarten hat Erfahrung mit unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen und versucht jetzt, die soziokulturellen Qualitäten, die diesen Privathäusern und ihren architektonischen Konzepten inhärent sind, zu verstehen. Für ihn ist ein Stadtgebäude nicht nur eine bauliche Struktur, es repräsentiert vielmehr ein Individuum, eine Gruppe und eine Kultur. Ein Haus ist weit mehr als nur ein Raum zum Wohnen. Es definiert Lebensstil und Werte seiner Bewohner.

Ohne Titel (Giebel eines Einfamilienhauses, Tür; Seogyo-dong, Seoul) 2011, Öl auf Leinwand, 80 x 100cm.

Drei fehlende Elemente

Wie Besucher seiner Ausstellung feststellen werden, fehlen in Baumgartens Gemälden drei Elemente: Titel, Menschen und (explizite) Botschaften.

„Ich stelle nicht gerne Menschen dar, weil sie sofort die ganze Leinwand dominieren, erklärt Baumgarten. „Wenn ich menschliche Gestalten hinzufüge, helfe ich dem Betrachter nicht, das Stück Realität, das ich darstelle, nachzuempfinden, sondern das Hauptaugenmerk wird dann auf die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung gelegt.“ Er fügt hinzu: „Meine Werke sollen keinen explizit erzieherischen oder lehrreichen Charakter haben. Vielmehr möchte ich ein bestimmtes Maß an Ambivalenz bewahren, um den Betrachtern Raum für unterschiedliche Meinungen oder Interpretationen zu lassen.“ Seine Bilder sind stilistisch gesehen weder abstrakt noch figurativ in der Darstellung. Er schlägt vor, sie im Sinne der zeitgenössischen westlichen Kunsttheorie als „Widerstandskunst“ zu klassifizieren. „Um etwas Neues zu schaffen, muss man sich weigern, sich Konventionen oder Traditionen anzupassen“, so sein Anspruch. „Ich wollte keine netten Bilder mit konventionellen Themen wie Stillleben, Landschaften oder Porträts malen, um konservative Erwartungen zu erfüllen.

Ich wollte mich aber auch nicht blindlings Avantgarde-Bewegungen anschließen, die der Malerei den Rücken gekehrt haben. Vielmehr habe ich versucht, auf Basis meiner persönlichen und originären Interessen einen Standpunkt fernab von diesen Strömungen einzunehmen.“

Baumgarten schloss ein B.F.A.-Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe ab und erwarb seinen Masterabschluss in Kunst an der Tokyo University of the Arts. Danach studierte er in Frankreich und Großbritannien weiter. Die Studenten in seinem Kurs Ähnlichkeiten und Unterschiede lernen, eigenständig Ideen zu entwickeln.

„Ich versuche, meinen Studenten die kulturellen Wurzeln und das philosophische Gedankengut Europas näherzubringen“, sagt Baumgarten. „Koreanische Studenten verfügen über einiges künstlerisches Talent und Geschick, aber manchmal scheinen sie nicht recht zu wissen, was sie eigentlich zum Ausdruck bringen wollen.“

„Mich interessiert, aus der Perspektive eines Europäers zu analysieren und verstehen zu lernen, wie Korea die westliche Kultur und Industriebereiche aufgenommen hat und wie sie in Koreas Kultur und Lebensstil zum Ausdruck gebracht wurden“, erklärt Baumgarten. Z.B. sieht er große Unterschiede in der Art und Weise, wie Deutschland und Korea mit Architektur umgehen. „In Deutschland werden nicht so viele neue Häuser gebaut, und schon gar keine Gebäude, die nicht mit der Umgebung harmonieren. Allein in meiner Nachbarschaft wurden in weniger als zehn Jahren mehrere Häuser abgerissen und neu gebaut. Und viele vergleichsweise neue Wohnhäuser, darunter auch Yangok, wurden im Zuge der Gentrifizierung umgebaut.“

Ein kurzlebiger urbaner Hausstil

Das mag Baumgartens enthusiastisches Festhalten an einem in den Augen vieler Koreaner vorübergehenden urbanen Hausstil erklären. Es erklärt auch, warum Koreaner eine Art „Kulturschock“ erleben, wenn sie sehen, dass ein ausländischer Künstler neues Leben in Szenen aus ihrer nur allzu vertrauten Umgebung haucht. Es würde nicht überraschen, wenn sie ihm dankbar dafür wären, dass er Szenen festgehalten hat, die wenige koreanische Künstler in einem solch einzigartigen und charmanten Stil dargestellt haben.

„In meinen Gemälden, mögen sie nun Gebäude darstellen oder nicht, versuche ich, die realen Strömungen der zeitgenössischen Stadt zu betrachten“, sagt Baumgarten. „So wie die Stadt selbst sich entwickelt, so entwickeln sich auch meine Motive, die hoffentlich das Leben in der Stadt mit all seinen Kontrasten, seinen Ausgewogenheiten und Kombinationen widerspiegelt.“

Auf diese Weise scheint Baumgarten das Land, in dem er jetzt lebt, zu lieben. Und die Koreaner müssen sich vielleicht früher oder später für einen weiteren Kulturschock rüsten.

Chung Jae-sukKulturredakteurin, Tageszeitung The JoongAng Ilbo

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