Müssen wir unbedingt in ein fernes Land reisen, um Urlaub zu machen? In letzter Zeit gewinnt v.a. unter den jungen Menschen eine „rationalere“ Art, den Urlaub zu genießen, an Beliebtheit: Sie verbringen die Zeit einfach in einem Hotel oder zu Hause, um Stress und Müdigkeit einer langen Reise und die Menschenmassen an beliebten Reisezielen zu vermeiden.
Gäste in einem Hotel in der Seouler Innenstadt, die überfüllte Strände vermeiden wollen, erholen sich beim Sonnenbaden und Schwimmen im Pool auf dem Dach. © Yonhap News Agency
Nur 42 % von 1.000 Erwachsenen im Alter zwischen 19 und 59 Jahren stimmten in einer 2018 von der Marktforschungsagentur Macromill Embrain durchgeführten Umfrage zu, dass sie im Sommerurlaub unbedingt irgendwohin reisen müssen. Dagegen meinten 53,2 % „es ist auch okay, nirgendwohin zu fahren“, da die Resorts meist vor Touristen überquellen und Wucherpreise an der Tagesordnung seien. Viele klagten auch darüber, „die Müdigkeit danach“ nicht so leicht abschütteln zu können.
Vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren neue Trends wie „Hocance“ (hotel + vacance) oder „Homecance“ (home + vacance) aufgekommen.
Dem Alltagstrott entfliehen
Im März 2019 gewann Woo Seung-min, ein Sportmarketing-Spezialist in den Zwanzigern, bei einer Tombola einen Hocance-Gutschein und genoss einen unvergesslichen Aufenthalt mit Übernachtung in einem Hotel in der Seouler Innenstadt. „Bei den bei uns üblichen Gruppenreisen bewegt man sich an den Urlaubsorten ja nur nach dem festgelegten Reiseplan“, sagte er. „Früher war für mich ein Hotel nur ein Ort zum Übernachten, aber nach der Hocance-Erfahrung hat sich meine Einstellung völlig verändert.“
Nach dem Einchecken um 14.00 Uhr musste Woo sofort zu einem Geschäftstreffen, von dem er erst gegen 22.00 Uhr zurückkehrte. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich bei frittiertem Hühnchen und Bier ein Fußballspiel im Stadion anzusehen. Statt dessen besorgte er sich einige Snacks im 24-Stunden-Laden nebenan und schaute sich einen Film auf seinem Tablet-PC an. Insgesamt schenkte diese erholsame Verschnaufpause ihm Mußestunden. Normalerweise frühstückt Woo nicht, aber auf Anraten von Freunden stand er dieses Mal früh auf und aß eine ordentliche Mahlzeit: eine Schüssel Reis mit Rührei, gebratenem Huhn und Kimchi. Dann ließ er sich in der hoteleigenen Sauna massieren, bevor er gegen 11.00 Uhr auscheckte.
„Es war eine Gelegenheit, auf unkonventionelle und völlig unkomplizierte Weise dem Alltag zu entfliehen“, sagte Woo. „Beim nächsten Mal möchte ich zusammen mit Freunden Fußball-Hocance genießen.“ Geplant ist, nach dem gemeinsamen Besuch eines Profispiels im Fußballstadion abends im Hotel die TV-Übertragung des Spiels einer ausländischen Fußballliga anzusehen und dabei ein köstliches Abendessen zu genießen.
Nicht nur in den Sommerferien sind die Hotels mit Familien, Verliebten, Freunden und Partygängern überfüllt, sondern auch zu Weihnachten, über den Jahreswechsel und an den mehrtägigen traditionellen Feiertagen wie dem Lunar-Neujahrsfest Seollal oder dem Erntedankfest Chuseok ist alles ausgebucht. Traditionsgemäß besuchten die Kinder an diesen Tagen Eltern und Verwandte in ihren Heimatorten, um die Festtage gemeinsam zu verbringen. Aber heutzutage leben die Familien weit verstreut, sodass der Tradition zu folgen gleichbedeutend damit ist, viele Stunden auf verstopften Autobahnen zu verbringen. Um dem zu entgehen, treffen sich die Familienmitglieder zu einem entspannten Zusammensein in einem für alle leicht erreichbaren Hotel.
Die wachsende Popularität von Hocance ist auch auf die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von maximal 68 auf 52 Stunden (40 Stunden gesetzliche Arbeitszeit plus 12 Stunden Überstunden) im Juli 2018 zurückzuführen. Ziel dieser von der Regierung initiierten Kürzung der Regelarbeitszeit ist eine gesündere Work-Life-Balance. Nicht wenige begannen sich daraufhin den kleinen Luxus zu gönnen, nach der Arbeit vollkommene Ruhe und Entspannung zu genießen. Postings in den Sozialen Medien taten das Ihrige, um das Konzept dieser Art von Miniurlaub zu verbreiten. Als Reaktion darauf begannen einige Hotels damit, spezielle Übernachtungspakete mit Gutscheinen für Schwimmbad und Restaurants anzubieten.
Nach einer Analyse von WITH Innovation, dem Betreiber der koreanischen Unterkunft-App Yeogi Eottae (Wie wär’s hier?), war „Warmwasserschwimmbad“ zwischen Dezember 2018 und Februar 2019 das häufigste Suchwort; parallel dazu stiegen die Suchanfragen nach mit Warmwasserschwimmbad zusammenhängenden Stichwörtern im Vorjahresvergleich um rund 40 %. Laut WITH Innovation soll dieser neue Trend auch durch die zunehmende Zahl von Hotels, die mit entsprechenden Erholungseinrichtungen ausgestattet sind, beflügelt worden sein. Daneben sei das große Interesse aber auch auf Hashtags in den Sozialen Medien zurückzuführen, die Hocance-Erlebnisse thematisieren.
Mit Freunden oder Familie bei Drinks und Leckereien im Hotelzimmer fern zu schauen, ist eine Möglichkeit, der Tretmühle des Alltags zu entfliehen und seine Freizeit zu genießen.© Getty Images
Ein Gast verbringt die freie Zeit in einem Hotelzimmer. Die Hotels locken mit einer bunten Palette von Hocance-Packageangeboten für alle, die Mußestunden verbringen wollen, ohne dafür lange Anfahrten in Kauf nehmen zu müssen. © Grand Intercontinental Seoul Parnas
„Es war eine Gelegenheit, auf unkonventionelle und völlig unkomplizierte Weise dem Alltag zu entfliehen.“
Package-Angebote
Neben den verschiedenen Pauschalangeboten für Hocance-Übernachtungen haben die Hotels auch ihre Package-Angebote für die traditionellen Feiertage ausgebaut. So bot ein Hotel auf der Ferieninsel Jeju-do im letzten Jahr zum Erntedankfest Chuseok unter dem Motto „Ein Geschenk für Ihre geliebte Frau“ ein Pauschalpaket mit kostenlosem Frühstück, einem Getränkegutschein für Bier-Cocktail und einer Fußmassage an. Andere Hotels locken über die Feiertage mit neuen kulinarischen Kreationen von Starköchen, auf Singles abgestimmten Feiertagspaketen, Kombinationen aus Kino und Frühstück oder einem Museumspass für Gäste mit mehr als zwei Übernachtungen.
Während der in diesem Jahr fünftägigen Feiertage zum Lunar-Neujahrsfest Anfang Februar warteten die großen Hotels in Korea mit attraktiven Package-Programmen auf, darunter Kombinationen wie Besuch eines Spas europäischen Stils plus Eintrittskarten für ein Jazzkonzert, aber auch einem Aufenthalt in einem zur selben Kette gehörenden Hotel im Ausland. Infolge solcher Bemühungen konnte ein bekanntes Hotel in der Seouler Innenstadt seinen Anteil an einheimischen Gästen, der im Jahresdurchschnitt bei 20 % liegt, während der traditionellen Feiertage mehr als verdreifachen. Ein Hotelmanager erklärte: „Die meisten Gäste, darunter auch welche, die während der Feiertage nicht in ihre Heimatorte fuhren, wollten sich einfach in einem nahe gelegenen Hotel mit bequemen Einrichtungen ausruhen und entspannen.“
Bei Hocance besteht jedoch die Gefahr, dass es zu populär wird und die Reisebranche sich übernimmt. Nach Angaben der Korea Fair Trade Commission und der Korea Consumer Agency wurden während der Sommerreisesaisons 2015 bis 2017 insgesamt rund 1.700 Beschwerden gegen Hotels, Reiseagenturen und Fluggesellschaften geltend gemacht.
Insbesondere die Hotels überbuchten, um ihre Gewinne in der Hochsaison zu maximieren, und die Bataillone von Gästen überlasteten die Kapazität von Schwimmbädern und Aufzügen, was den Aufenthalt unangenehm und unbequem machte. Statt eines unvergesslichen Urlaubs hatten einige Gäste letztendlich das Gefühl, nur Zeit und Geld verschwendet zu haben. Das Ergebnis war ein Anstieg der Beschwerden auf Reiseportalen und in den Sozialen Medien.
Meine Wohnung, mein Feriendomizil
Eine Variante von Homecance ist „Staycation“ (stay + vacation:) bzw. „Holistay“ (holiday + stay), die ebenfalls beliebt ist. Hier geht es darum, einen Teil seiner Wohnung in einen „Urlaubsort“ zu verwandeln. Laut dem Mobilfunkbetreiber SK Telecom ergab eine Analyse von insgesamt 1.317.420 Datenpunkten aus Nachrichten, Internetblogs, Internetforen und Sozialen Netzwerken für Juli 2018, als die Temperaturen über 33°C stiegen, dass die häufigsten Schlagwörter im Zusammenhang mit Sommerurlaub „Homecance“ und „Veterpark“ (veranda + water park) waren. Um denjenigen, die überfüllte Resorts meiden wollen, „Ferien auf dem Balkon“ zu ermöglichen, bieten verschiedene Hersteller und Einzelhändler die dafür notwendigen Produkte und Gerätschaften an.
„In den 15 Tagen vom 16. bis 30. Juli, als die Ferienhochsaison 2018 begann, stieg der Umsatz von Mini-Videoprojektoren und Bluetooth-Lautsprechern um 40 bzw. 30 %“, sagte ein Vertreter des Elektrowaren-Outlets LOTTE Hi-Mart. Diese Produkte waren seiner Meinung nach sehr gefragt, weil sie eine ganze Wand in eine Leinwand verwandeln und Kino-Klangqualität erzeugen können.
Nicht zuletzt sind auch tischfertige Campingspeisen, die auf den Homeshopping-Kanälen verkauft werden, bei den Homecance-Urlaubern sehr beliebt.