Westlich des Palastes Gyeongbok-gung liegt das historische Viertel Seochon, wo mächtige Persönlichkeiten aus Königs- und Adelsfamilien während der Joseon-Zeit (1392–1910) lebten, das aber auch für die Jungin-Schicht (obere Mittelschicht) Mittelpunkt ihrer kultureller Aktivitäten war. In der Moderne hinterließen hier Schriftsteller und Künstler ihre Spuren.
Die Westmauer des Gyeongbok-gung erstreckt sich etwa 800 Meter von der U-Bahn-Station Gyeongbok-gung bis zum Cheong Wa Dae Sarangchae, einem Museum und Kulturraum für traditionelle koreanische Kultur und die Geschichte früherer koreanischer Präsidenten. Yeongchu-mun, das Westtor des Palastes, liegt etwa in der Mitte der Strecke entlang der Mauer.
Seochon ist eine Gegend mit wunderschöner Landschaft und gilt nach der traditionellen Geomantiklehre Pungsujiri als „verheißungsvoller Ort“. Er wird eingerahmt vom Berg Baegak-san im Norden, vom Berg Inwang-san im Westen, im Osten vom Palast Gyeongbok-gung und im Süden von einer großen Straße, die vor dem Sajikdan-Altar vorbeiführt.
Zudem gehört Seochon zu den ältesten Vierteln Seouls. Im Jahr 1068, während der Goryeo-Zeit (918–1392), wurde im nördlichen Teil des heutigen Geländes vom Palast Gyeongbok-gung und in der Gegend rund um das Blaue Haus ein Sonderpalast für königliche Reisen errichtet. Es wird angenommen, dass von diesem Palast ausgehend das angrenzende Seochon entstanden ist.
An Bedeutung gewann das Viertel v. a. aufgrund des Baus des Palastes Gyeongbok-gung. König Taejo (reg. 1392–1398), der Gründer von Joseon, ließ die Hauptstadt 1394 in das heutige Seoul verlegen, und mit der Fertigstellung des Gyeongbok-gung folgte in der näheren Umgebung die Ansiedlung von Gebäuden für die Staatsverwaltung sowie die Errichtung privater Wohngebiete.
Während der Joseon-Zeit erhielt Seochon verschiedene Namen, darunter am weitesten verbreitet „Jangdong“ und „Janguidong“.
Die Palastmauer rund um das Tor Yeongchu-mun aus dem Büro der Arumjigi Culture Keepers Foundation betrachtet, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für den Schutz und die Erhaltung des koreanischen Kulturerbes einsetzt. Von den meisten Gebäuden entlang dieser Straße lässt sich auf die Palastmauer blicken.
Geburtsort der Könige
Der berühmteste Ort in Seochon in der frühen Joseon-Zeit war das Haus von Yi Bang-won (König Taejong, reg. 1400–1418), dem fünften Sohn des Gründerkönigs Taejo. Aus dieser Privatresidenz, die sich vermutlich im heutigen Tongin-dong befand, stammen sage und schreibe vier Könige: Er selbst, ein Sohn und zwei Enkel. Da ein Kronprinz im Palast zu wohnen pflegte, konnte eigentlich kein ehemaliger privater Wohnsitz existieren. Das war nur deshalb möglich, weil es sich bei ihnen zuerst nicht um offizielle Thronfolger gehandelt hatte.
Es war ein Putsch Yi Bang-wons, der es ihm, seinem Sohn Sejong (reg. 1418–1450) und seinen Enkeln Munjong (reg. 1450–1452) und Sejo (reg. 1455–1468) ermöglichte, dennoch zu regieren. Ein ganz besonderes Kapitel der Geschichte schrieb König Sejong, der das koreanische Schriftsystem Hangeul schuf, das Territorium erweiterte und die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie förderte.
Anfang der Joseon-Zeit lebten nicht nur König Taejong und Sejong, sondern auch viele Mitglieder der Königsfamilie in Seochon. So auch Sejongs Sohn Prinz Anpyeong, der sich einen von ihm geträumten Traum durch den besten Künstler seiner Zeit, An Gyeon, verewigen ließ. Das Landschaftsgemälde Traumreise ins Land der Pfirsichblüten entstand, welches noch heute als repräsentatives Werk der frühen Joseon-Zeit gilt. Das Werk befindet sich heute im Besitz der Bibliothek der Tenri University in Japan.
König Yeongjo (reg. 1724–1776), der als der herausragendste Herrscher der späten Joseon-Zeit gilt, lebte vor seiner Krönung im Palast Changui-gung im südlichen Teil von Seochon. Auch nach seiner Thronbesteigung besuchte er die Gegend häufig und schrieb mehrere Gedichte über die Zeit, die er im Changui-gung verbracht hatte. Zudem ließ er für seine Mutter, die einen sozial niedrigen Rang innehatte, einen Schrein im nördlichen Teil von Seochon errichten, den er ebenfalls oft besuchte.
Der 1951 eröffnete Daeo Bookstore ist als Seouls ältester Buchladen bekannt. Derzeit wird es als Café und Kulturraum betrieben und ist ein Hotspot in Seochon.
Der Wohnsitz der Jangdong-Kims
Die berühmteste Adelsperson von Seochon während der Joseon-Zeit war Kim Sang-heon (1570–1652), der auch in dem Film The Fortress (2017) von Hwang Dong-hyuk, dem Regisseur von Squid Game, verewigt wurde. Hier dargestellt durch den Schauspieler Kim Yoon-seok ist Kim Sang-heon in seiner unbeugsamen Auffassung für den Kampf gegen die Angriffe des Qing-Reichs zu sehen.
Kim Sang-heon war nicht nur selbst einer der erfolgreichsten Verwaltungsbeamten, sondern auch seine Nachkommen genossen als Mitglieder einer mächtigen Familie große Macht. Sie bildeten den Kern der mächtigsten politischen Gruppe in der späten Joseon-Zeit und brachte 15 Jeongseung (Ministerpräsident und sein Stellvertreter) und 35 Panseo (Minister) hervor. Ursprünglich befand sich das Stammhaus der Familie in Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do, aber da Kim Sang-heon und sein Bruder in Seochon lebten, wurden sie nach dem damaligen Ortsnamen „Jangdong-Kims“ genannt. Kim Sang-heon machte Seochon mit mehreren seiner Schriften berühmt, u. a. zehn Gedichten über seine Eindrücke malerischer Orte, einem Exkursionsbericht über den Berg Inwang-san und einem Gedicht über die Sehnsucht nach seinem Haus in Seochon während seiner Gefangenschaft in Quing-China.
Die großen Straßen in Seochon sind von hohen Gebäuden gesäumt, aber im Inneren des Viertels befindet sich ein Geflecht aus engen Gassen, die zu einer Reise in die Vergangenheit einladen.
Die Jangdong-Kims waren nicht nur politisch führend, sondern auch kulturell. Die Enkelkinder von Kim Sang-heon förderten Jeong Seon (1676–1759), den größten Maler der späten Joseon-Zeit. Im Gegenzug schuf dieser das Werk Album der acht malerischen Orte von Jangdong in Seoul, also Ansichten des heutigen Seochon, in dem der Kim-Clan zu Hause war. Jeong Seon kreierte im Alter das für die spätere Joseon-Zeit so repräsentative Landschaftsgemälde Inwangjesaekdo. Das Werk stellt die Landschaft des Berges Inwang-san nach dem Regen dar, betrachtet aus der Richtung vom heutigen Bukchon (Dorf nördlich des Gyeongbok-gung).
Mit der Entwicklung des Handels und der Lockerung der sozialen Klassenstruktur begann der Aufstieg der niedereren Beamten aus der Jungin-Schicht, die im südlich-zentralen Teil von Seochon lebte. Ihre Bildungsmöglichkeiten verbesserten sich, und sie fingen an, die Kultur der adligen Yangban selbst auszuleben. Sie gründeten zahlreiche Gedicht-Vereine und führten gemeinsam literarische Aktivitäten in Ogin-dong in der Nähe des Berges Inwang-san durch, wo die Jangdong-Kims und andere Adelsfamilien wohnten. Der berühmteste Verein war die Songseogwon Sisa, (Gedicht-Gruppe in Songseogwon). In einer Gesellschaft, in der Adelige den kulturellen Ton angaben, trug sie erheblich zur Etablierung der sog. Seitengassen-Literatur durch die Jungin-Schicht bei. Diese Gruppe war bis Anfang des 19. Jhs. aktiv und konnte auf eine Vielzahl veröffentlichter Gedichtsammlungen zurückblicken.
Die Spuren der Moderne
Während der japanischen Besatzungszeit errichteten sich pro-japanische Kräfte große Villen in Seochon. Insbesondere Yun Deok-yeong (1873–1940), der bei der Annexion Koreas durch Japan 1910 mitwirkte, ließ sich ein großes Herrenhaus im westlichen Stil mit einer Baufläche von etwa 800 Pyeong (etwa 2.640 m²) bauen, das größte Privathaus zu jener Zeit. Genau an dem Ort, wo Yangban-Adlige während der Joseon-Zeit Kunst und stilvolle Unterhaltung genossen und Jungin sich zu Gedicht-Stunden versammelten. Die Villa brannte in den 1960er Jahren nieder, aber das Haus, das er seiner Tochter schenkte, sowie das Hanok-Haus, in dem seine Konkubine lebte, sind noch erhalten. Das Haus im westlichen Stil beherbergt derzeit das Pak No-soo Art Museum, das Hanok-Haus wird hingegen nach Plan der Seouler Stadtregierung umgebaut, um es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Hier wohnte etwa zwanzig Jahre lang Yi Sang (1910–1937), der als berühmter Dichter und Schriftsteller die moderne koreanische Literatur unauslöschlich geprägt hat. Das Haus stand kurz vor dem Abriss, doch The National Trust for Cultural Heritage kaufte es 2009 dank der Spenden von Bürgern und Unternehmensbeiträgen. Entlang einer der Innenwände ist ein Archiv von Yis Werken chronologisch ausgestellt.
© The Federation of Korean Cultural Centers
Zur Besatzungszeit und nach der Unabhängigkeit Koreas waren viele Dichter, Romanautoren und Maler, die die Geschichte der koreanischen Literatur und Malerei prägten, in Seochon aktiv. Zu den repräsentativen Schriftstellern gehören Yi Sang (1910–1937), der avantgardistische Gedichte, Romane und Essays schrieb, sowie die als anti-japanische Dichter bekannten Autoren Yi Yuksa (1904–1944) und Yun Dong-ju (1917–1945). Auch Maler wie Gu Bonung (1906–1952), ein Freund von Yi Sang, Lee Quede (1913–1965), der intensiv-epische Bilder schuf, und Lee Jung-seob (1916–1956), dessen Werke sowohl das Heimatliche als auch das Märchenhafte ausstrahlen, waren in Seochon tätig.
Zu den wichtigsten Ereignissen in Seochon nach der Unabhängigkeit Koreas zählt die Revolution am 19. April 1960. Aufgebrachte Studenten und Bürger waren zum Gyeongmudae (das heutige Blaue Haus), dem Sitz des Staatspräsidenten Rhee Syng-mans, geströmt, um gegen Wahlbetrug zu protestieren. Die Polizei eröffnete das Feuer, wodurch die Glut der Revolution erst recht entfacht wurde. Viele Bürger mussten damals in der Gegend um die heutige Hyojaro-Straße und des Brunnenplatzes des Blauen Hauses ihr Leben lassen.
Seochon, das mit Bukchon seit der Joseon-Zeit als beste Wohngegend Seouls galt, verfiel während der Militärregierung Park Chung-hees in den 1960/70er Jahren allmählich. Grund hierfür waren die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen rund um das Blaue Haus. Nach der Demokratisierung 1987 lockerten sich zahlreiche Vorschriften und dank der Förderung traditioneller Wohnhäuser ab 2010 ist aus Seochon heute eines der beliebtesten Ausflugziele Seouls geworden, das Natur, Geschichte und Kultur in sich vereint.
Seochon ist bekannt für die harmonische Koexistenz der modernisierten Hanok-Häuser aus den 1920er und 1930er Jahren und der modernen Gebäude. Im Hintergrund ist das Wahrzeichen des Viertels, der Berg Inwang-san, zu sehen.
KIM Kyuwon Senior Reporter, Hankyoreh21
Fotos Choi Tae-won